Schorsch Kamerun ist weg. Was bleibt für die Nordstadt?

Was bleibt dem Viertel nach Schorsch Kameruns „Nordstadt-Phantasien“? / Foto: Facebook

Es war ein buntes Spektakel: Im Rahmen der Ruhrtriennale inszenierte der Hamburger Vorzeige-Punk und Theaterregisseur Schorsch Kamerun das Stück „Nordstadt-Phantasien“ direkt auf der Straße des Gneisenau-Dreiecks in der Dortmunder Nordstadt. Schrill und abgedreht war es für knapp zwei Wochen in dem Viertel rund um Hafenschänke subrosa und Rekorder. Nun reiste der Ruhrtriennale-Zirkus wieder ab. Was aber bleibt? Wir haben uns im Viertel umgehört.

Wenn Kunst sich eine als deutschlandweit verschrieene No-Go Area zu eigen macht, dann ist das immer ein ambivalentes Thema. Als erstes sei daher gesagt, dass sich Kamerun und sein Team kein Problemviertel vorgeknöpft haben. Die Straßen rund um den Blücherpark gehören zu den begehrtesten der Nordstadt. Es ist dort angenehm zu wohnen und man hat kulturelle Orte wie das subrosa, den Rekorder, das Sissikingkong, das Rockaway Beat und den Rekorder II vor der Tür. An sonnigen Tagen und mit dem richtigen Paar Schuhe fühlt man sich hier wie in Berlin Kreuzberg. Ein Kiez kurz vor der Gentrifizierung, so spürte es Schorsch Kamerun, und setzte genau hier mit seinem Theaterstück „Nordstadt-Phantasien“ im Rahmen der Ruhrtriennale 2018 an.

„Als ob das irgendeine Person außer Hipstern und Trés-Chick-Theaterleute erreicht hat.“

Und so strömte ein sehr gemischtes Publikum zu der auf offener Straße stattfindenden Produktion. Zum einen waren es Gäste, bei denen man den Eindruck hatte, dass sie in vielen Teilen zum ersten Mal in der Dortmunder Nordstadt unterwegs waren oder sich zumindest viele von ihnen nicht so oft hierher verirren. Dazu verortete man ein junges, kulturinteressiertes Nordstadt-Publikum, wie man es aus der einschlägigen Szene-Gastronomie kennt. Und genau hier ist der Knackpunkt: Bei einem Eintrittspreis von knapp 25 Euro fühlten sich viele der sonst in der Nordstadt ansässigen nicht angesprochen oder nicht abgeholt. „Für mich und anderer meiner Freunde nicht so erschwinglich. Und das denke ich auch über die Nordstadtbewohnenden“, so erzählt man uns. „Und das ist ja der größte Witz, dass es dann ein Theaterstück über Gentrifizierung ist.“

Sehr bewusst dokumentierte Kamerun sich in dem Rahmen immer wieder als Punk, der gegen das System wettert; zeitgleich sieht er sich selbst in der Rolle des „Top-Gentrifiziers“, der mit Inszenierungen wie dieser genau zu dem beiträgt, wogegen er sich eigentlich auflehnt. Kamerun macht halt einen Job im Auftrag der Ruhrtriennale, und die sieht sich in erster Linie nicht als Förderer der Kunst für Jedermann. „Ein bürgerfernes Theaterstück wo genau die Menschen von profitieren die nicht in der Nordstadt wohnen. Als ob das irgendeine Person außer Hipstern und Trés-Chick-Theaterleute erreicht hat“, regt sich unsere Gesprächspartnerin auf.
Ganz anders sieht es unser zweiter Interviewpartner, der als Nordstädtler aktiv an der Produktion beteiligt war: „Während des Stücks ist meiner Meinung nach auch die Nachbarschaft, die ja ohnehin schon sehr nett ist, nochmal ein Stück weit zusammen gerückt. Freundschaften wurden geschlossen. Einige vom angereisten Theater-Team haben sich regelrecht in das Viertel und die Stadt im allgemeinen verliebt.“

„Was bleibt, ist zum Beispiel die Frage: Wer will eine Systemgastronomie am Dortmunder Hafen?“

So sehr die Meinungen auseinandergehen, so sehr drängt sich die Frage auf, was denn nach einer solchen Aktion für die Menschen im Viertel bleibt. Für den Augenblick der Aufführung hat es sich für einige Bewohner tatsächlich nach Veränderung angefühlt: „Das die Nordstadt-Phantasien jetzt tatsächlich eine gewisse „Aufwertung“ ausgelöst haben, wage ich zu bezweifeln. Auch wenn sich viele Dinge real angefühlt haben, handelte es sich hierbei immer noch um Fiktion. Allerdings war es aber tatsächlich so, dass während des ganzen Produktions-Zeitraum eben diese „Aufwertung“ auf einer gewissen Art und Weise tatsächlich stattgefunden hat. Da das ganze Viertel quasi über 5-6 Wochen von Künstlern aller Richtungen und aus allen Ecken des Landes besetzt war, waren eben diese Phantasien auch 24 Stunden am Tag präsent.“
Der in der Nordstadt lebende Rapper Schlakks wird in einem Gespräch mit uns konkreter: „Auch wenn das Thema noch teils weit weg scheint hier – es ist wohl gut, es immer auf dem Zettel zu haben. Denn so weit weg ist es andererseits auch nicht mehr. Was bleibt, ist zum Beispiel die Frage: Wer will eine Systemgastronomie am Dortmunder Hafen? Was wollen die BürgerInnen in diesem Stadtteil wirklich? Und für uns als Betreiber des Rekorder stellt sich natürlich nach wie vor die Frage, wie wir in diesem Gewusel solidarisch wirken können. Wie können wir aktiv bleiben, geile Scheiße machen – ohne, dass die Gneisenaustraße von Immobilienfreaks vereinnahmt wird? Es kann und soll nicht die Lösung sein, gar nichts mehr zu machen.“

Schorsch Kamerun wird noch einmal in die Nordstadt kommen
Der Prozess ist schleichend, und doch ist er da. Die angesprochene Systemgastronomie am Dortmunder Hafen ist nur ein Beispiel von vielen. Ich persönlich vermisse eher die Dynamik in dem Viertel und frage mich, ob es dort wirklich eine Ansiedlung von weiteren jungen Kreativen geben wird. Was ist denn nach der Entstehung des Rekorder vor über 6 Jahren eigentlich sonst noch so Neues dort entstanden? Wo sind die Impulse der jungen Kreativen? Aus Mangel an neuem Input sieht sich der Rekorder schon als Alleinkämpfer und schuf mit dem Rekorder II seinen zweiten Raum für Ausstellungen und Aktionen. Genutzt wird er von den heimischen Künstlern eher selten. Wird die Stadt den kreativen Künstlerprozess überspringen und ein Hip-Viertel am Reißbrett verkaufen, wie sie es mit dem Hafen vorhaben? Schlakks findet dafür gute Worte:“ Die Frage ist doch viel eher: Wie viel soll sich ändern? Dass nicht alles geil ist, müssen wir hier nicht wieder runterbeten. Ist aber ja wohl auch klar, dass es nicht das Ziel sein kann, den Charakter der Nordstadt komplett auszutauschen.“

Kamerun auf dem Haldern Pop / Foto Wikipedia

Bei so vielen verschiedenen Meinungen und Gedanken im Viertel ist anscheinend doch mehr geschehen als einfach nur eine zweiwöchige Inszenierung für die Ruhrtriennale. Aus diesem Grund wird Schorsch Kamerun am Mittwoch, dem 21. November noch einmal  an den Veranstaltungsort zurückkommen: Der Rekorder hat den Hamburger zu einer offenen Diskussionsrunde eingeladen, bei der man sich noch einmal ausgiebig mit den Fragen der Bewohner und der Problematik der Gentrifizierung auseinandersetzen will. Um 20 Uhr geht es los, der Eintritt ist frei.

Bjoern Hering

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