„Ich wollte nie ein Festival machen.“ Juicy Beats-Organisator Carsten Helmich im Interview mit LJOE

Juicy Beats-Organisator und -Booker Carsten Helmich sprach mit LAST JUNKIES ON EARTH über Hipster, Elektroheinis und darüber, warum alte Männer immer noch Festivals wie das Juicy Beats machen.

Nur noch ein zwei Tage, dann startet das Juicy Beats 2015 – anlässlich seines 20-jährigen Jubiläums wird das Festival im Dortmunder Westfalenpark erstmals zwei Tage lang gehen. Ausverkauft ist die Veranstaltung bereits, aber zu tun gibt es noch immer mehr als reichlich. Umso mehr freuen wir uns, dass Juicy Beats-Director Carsten Helmich sich in dieser heißen Phase die Zeit für ein Gespräch mit uns nahm. Beinahe eineinhalb Stunden ließ er es sich kosten, mit den Last Junkies über die Unterschiede zwischen dem Juicy Beats von damals und dem Juicy Beats von heute zu sprechen, von den Besonderheiten des Juicy Beats zu schwärmen und von Acts zu träumen, die er gerne auf dem Juicy Beats sehen würde.

LJOE: Carsten, mit dem Jubiläum steht erstmals ein zweitägiges Juicy Beats inklusive Camping vor der Tür. Fühlst du dich denn bereit?

Ich würde sagen, wir sind gut im Plan. Der Vorverkauf läuft inzwischen von selbst, das ist eine Sorge weniger. Und ich mache das jetzt ja schon seit 20 Jahren – wir wissen also ungefähr, was wir wann machen müssen. Ich habe eigentlich das Gefühl, dass wir da sind, wo wir sein müssen.

Das bedeutet also, dass es organisatorisch gar keinen so großen Unterschied macht, ob das Festival nun einen oder zwei Tage lang geht?

Wir mussten natürlich ein paar Sachen umstricken. Man muss sich mal darüber Gedanken machen, was es bedeutet, wenn auf der einen Hälfte des Westfalenparks noch der Aufbau stattfindet, während auf der anderen schon das Festival läuft. Auch ist neu, dass bestimmte Sachen, beispielsweise akkubetriebene Lampen oder Dekowürfel , abends leer sein werden. Die müssen natürlich alle eingesammelt und für den nächsten Tag aufgeladen werden. Auch muss das Gelände einmal gereinigt werden. Und dann gibt es ja auch noch einen Campingplatz, auf dem viele neue Leute sind und der ja eigentlich die ganze Zeit läuft.

Gibt es denn auf dem Campingplatz noch Verkaufsstände oder sowas in der Art?

Nee, so groß ist der bei uns ja nicht, wir reden da von 2.500 Leuten. Es gibt natürlich einen Kiosk, wo die Leute sich mit netten Sachen eindecken können – typisch Ruhrgebiet eben. Einen Bierwagen und einen Essensstand wird es auch geben. Und das Gute am Campingplatz ist, dass er direkt gegenüber des Geländes des TSC Eintracht Dortmund liegt. Die haben ein riesengroßes Café, fast schon eine Art Mensa, auf zwei Stockwerken und werden sich komplett um das Frühstück kümmern, sodass da gleichzeitig 300, vielleicht sogar 400 Leute frühstücken können. Das haben nicht viele Festivals zu bieten.

Normalerweise fehlt es dafür alleine schon an der Infrastruktur.

Eben, und wir hätten sie auch nicht aufstellen können. Aber wir haben bei unserer Anfrage offene Türen eingerannt, weil die Jungs vom TSC darauf total Bock haben.

Ihr habt jetzt einen Tag mehr für das Juicy Beats 2015. Was ändert sich dadurch denn alles?

Also der Samstag ist eigentlich vom Programm her exakt so, wie er immer war. Ein paar Neuerungen wird es aber trotzdem geben: Zum Beispiel kann man auf einer riesengroßen Leinwand Videospiele spielen. Was gespielt werden kann, ob jetzt Super Mario Kart oder was auch immer, konnten die Leute schon im Vorfeld auf unserer Facebookseite wählen. Organisiert wird das von einem Partner, der das regelmäßig im Ruhrgebiet macht. Die Funkhaus Europa Bühne hat einen neuen Standort bekommen, weil es uns immer ein bisschen gestört hat, dass die Hauptbühne und das Zirkuszelt so eng aufeinander saßen. Da hat dann manchmal der Sound aufeinander geclasht und das haben wir damit ein bisschen entzerrt. Außerdem wir haben nochmal einen ganzen Tacken in die Dekoration investiert. Wir arbeiten ja die ganze Zeit daran, neben den Acts auch von der Dekoration her jedes Jahr ein bisschen weiter zu kommen.

Soviel also zum Samstag, der ein klassischer Juicy Beats-Samstag bleiben soll. Und wie dürfen wir uns den Freitag vorstellen?

Am Freitag nutzen wir nur die Hälfte des Parks, also Festwiese und oberhalb, und konzentrieren doch alles ziemlich auf die Main Stage. Daneben gibt es noch eine zweite Stage, die wir zum DJ Floor machen, beispielsweise mit „Alle Farben“. Und dann haben wir noch zwei kleine Dancefloors plus eben hinterher noch ein paar Aftershow Parties. Die sind zwar auch auf dem Gelände, aber das Festival ist dann eigentlich vorbei und diese Locations erreicht man auch nur noch von außerhalb des Parks. Eine Venue ist zudem in der Stadt – das View – und eine andere gegenüber des Campingplatzes auf dem Gelände der TSC Eintracht.

Und ihr sperrt ab, damit ihr aufräumen könnt?

Ja, das Festival ist um 22 Uhr vorbei, spätestens um 23 Uhr werden wir die Leute dann von der Festwiese auch runterschicken, damit wir den Samstag vorbereiten können. Bis 24 Uhr gibt es aber noch eine Silent Disco auf der zweiten kleinen Bühne, wo die Leute dann noch ein bisschen tanzen können. Und wer durchtanzen will, kann später ins Café Durchblick laufen, da geht es noch bis 4 Uhr weiter. Aber die Möglichkeiten reduzieren sich dann natürlich immer weiter, weil wir ja den nächsten Tag ja vorbereiten müssen.

Gibt es denn irgendeinen Act, auf den du dich besonders freust? Oder auch mehrere?

Ich persönlich freue mich sehr auf „Erlend Oye & the Rainbows“ und auf „Who Made Who“, die ich letztes Jahr schon auf einem anderen Festival gesehen habe – die machen eine super Liveshow. Klar, sowas wie Fettes Brot hatten wir noch nicht, aber am Freitag interessiert mich besonders die Atmosphäre, denn das ist ein komplett neues Erlebnis und es wird auch eine andere Stimmung sein als am JuicyBeats-Samstag, da bin ich mir ziemlich sicher. Außerdem freue ich mich auch auf die Dortmunder Band „The Day“. Das ist eine ganz tolle Band und ich hoffe, dass es viele Leute zur Konzerthausbühne treibt, auch wenn sie etwas früher auftreten. Denn mir ist es sehr wichtig, dass gerade auch unsere lokalen Bands wieder etwas vom Festival haben.

theday

Die Dortmunder Band THE DAY wird auch auf dem Juicy Beats 2015 dabei sein.

Was die lokalen Bands betrifft: Das ist ja auch ein wichtiger Bestandteil der Förderung der lokalen Musikszene, dass die Bands nicht immer nur hier in ihrem eigenen Saft schmoren, sondern in die größere Welt hinaustreten können, ohne sonstwo herum touren zu müssen. Ist das ein programmatischer Punkt beim Juicy Beats, dass ihr auf jeden Fall auch etwas von der lokalen Musikszene dabei haben möchtet?

Das ist für uns ganz wichtig. Erstens hat es ja bei mir selber auch so angefangen, das darf man ja nicht vergessen. Ich selber habe ja dort unter dem Sonnensegel aufgelegt vor 20 Jahren – auch wenn das da natürlich noch eine ganz andere Liga war. Aber es ist total wichtig für eine Ruhrgebietsband, einfach mal aus diesem Ruhrgebietskontext rauszukommen. Viele sind sich ja genug, wenn sie immer wieder zwischen Bochum, Dortmund und Essen hin und her tingeln, aber das habe ich als DJ auch nie gemacht. Ich habe mir meine Touren immer selbst zusammengestellt und geschaut, wo die Musik läuft, die ich auflege. Dann hab ich da selber angerufen und das waren immer die besten Parties, weil ich eben genau geschaut habe, wo ich anrufe. Also ganz sicher nicht in der Großraumdisco, sondern eher im kleinen Laden. Und wenn ich dann da war, war es eigentlich immer ein total toller Abend und weil es so  war, wurde ich natürlich auch wieder eingeladen. Von den anderen Veranstaltungen hat man ja auch nichts. Da sind alle unzufrieden, das kann man sich dann auch sparen. Man bekommt natürlich eine Gage, aber darauf kann man ja nicht alles aufbauen. Genauso müssen die Bands von heute auch schauen, dass sie möglichst schnell aus Dortmund raus kommen. Und dafür ist das Juicy Beats natürlich hilfreich, wenn sie darüber hinaus Zeit darin investieren, um durch die Gegend zu touren.

Ist das für euch denn ein wichtiger Faktor, ob oder wie viel eine Band herum tourt?

Darauf achten wir auf jeden Fall. Wenn wir das Gefühl haben, dass es eine Hänger-Band ist, die auf die Anrufe wartet anstatt selber mal Gas zu geben, dann kann Juicy Beats da auch nicht helfen. Aber Bands, die da wirklich hinterher sind – und The Day und auch Schlakks sind so zwei Kandidaten – kann Juicy Beats wirklich helfen, weil wir überregional im Fokus sind und viele darauf achten, was bei uns so passiert. Egal, ob es jetzt die Gäste sind oder irgendwelche anderen Agenturen, oder Plattenfirmen. Die Bands können hier ganz unabhängig davon, ob es voll oder leer ist, selbst entscheiden, was sie aus ihrem Auftritt machen. Man kann hier ja auch schöne Bilder machen, mit denen man sich später sich bewirbt. So helfen wir den lokalen Bands, auf der anderen Seite helfen uns die Bands aber auch, weil sie hier in Dortmund unheimlich stark verwurzelt sind und das umgekehrt unseren lokalen Bezug stärkt. Die hauen schließlich ihre ganzen Freunde an, auf das Juicy Beats zu gehen, also das wird dann auch ein schönes Konzert werden, da bin ich mir ziemlich sicher. Dann sehen die Leute, dass es uns wichtig ist, lokale Bands zu fördern und so bedingt eins das andere.

Sollte es so nicht immer bei Festivals sein, besonders bei Urban Festivals?

Doch, schon. Ist es aber oft nicht. Wenn die Festivals beispielsweise von irgendwelchen großen Unternehmen veranstaltet werden, dann ist dieser lokale Bezug ja gar nicht mehr da. Die machen einfach ihre Veranstaltung an irgendeinem Ort, laden eben irgendwelche Bands ein und fertig. Denen fehlt der Bezug und dementsprechend haben die lokalen Bands davon überhaupt nichts. Das fände ich schade, das darf bei Juicy Beats nicht passieren. Die Acts machen das Festival vielleicht nicht voll, aber für das Standing in Dortmund und in der Region ist es wichtig. Außerdem zeigen wir damit: „Wir kommen aus dem Ruhrgebiet und das sind ganz normale Leute, die das Festival machen. Wir bewegen uns die ganze Zeit in diesem Kontext und hier wird so gefeiert, wie im Ruhrgebiet eben gefeiert wird.“ Denn das Juicy Beats ist auch von der Stimmung her etwas ganz besonderes.

Wie wird denn im Ruhrgebiet gefeiert?

Wilder. Ich habe lange in Trier studiert, und da kann man schön Urlaub machen, aber das ist schon ein anderer Menschenschlag. Im Ruhrgebiet feiert man doch sehr heftig und direkt. Es ist nicht so wichtig, wer da auf der Bühne steht, sondern irgendwie ist es tatsächlich ein bisschen so wie beim Fußball, wo man ja auch sagt, die Leute erwarten von den Spielern vor allem, dass sie ackern, rennen und alles geben. Dann werden die geliebt. Im Endeffekt zieht sich das auch beim Festival so durch. Wenn die Leute merken, dass da jemand auf der Bühne alles gibt, dann werden auch kleine Fehler verziehen und man feiert gemeinsam richtig ab. Das habe ich auch durchaus schon anders erlebt.

Dazu kommt ja noch, dass beim Juicy Beats sehr viele verschiedene Musikrichtungen gespielt werden.

Genau, das ist eine weitere Besonderheit am Juicy Beats – es ist ein sehr durchmischtes Festival. Dadurch kommt auch unglaublich unterschiedliches Szenepublikum: Der HipHopper neben dem Elektroheini neben dem Hipster aus dem Alternativbereich neben dem, der schon vor 20 Jahren bei Juicy Beats war und das alles hinter sich gelassen hat und jetzt keiner Szene mehr anzugehören braucht, weil du dich irgendwann nicht mehr darüber definieren musst. Durch diese Mischung ist es ein sehr, sehr offenes Festival. Bei Festivals, auf denen nur eine Musikrichtung gespielt wird, denken immer alle, sie wären so unglaublich kreativ und anders als die anderen und dann treffen die alle aufeinander und du denkst „Was ist das denn hier?“. Da haben dann alle die gleichen Klamotten an, oder stehen – wie beim HipHop – mit verschränkten Armen und Käppi vor der Bühne und wollen den starken Mann raushängen. Das ist, was ich nicht will. Man soll ruhig mal über den Tellerrand schauen, gemeinsam Spaß haben und jeder so feiern, wie er will. Das schönste wäre für mich immer, dass bei diesem Festival einer was sieht und sich denkt: „Ach was ist denn das? Das kannte ich vorher nicht, aber das ist ja geil.“ Und wir haben letztes Jahr nach dem Juicy Beats ja eine Umfrage gemacht, bei der herauskam, dass es für 90 Prozent der Leute am wichtigsten ist, so hin und her zu laufen und immer wieder neue Sachen zu entdecken. Die Top Acts kamen erst an vierter oder fünfter Stelle und das fanden wir natürlich super, weil es uns nochmal bestätigte, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Das heißt, ihr habt euch nicht geärgert, dass die Top Acts, deren Auftritte euch so viel Mühe und Geld kosten, den Leuten gar nicht so wichtig sind?

Nein, denn das gibt uns ja auch ein bisschen ein Alleinstellungsmerkmal. Du hast einen Freiheitsgrad, weil ein Festival, das nur noch von den Top Acts abhängt, auf wackligen Beinen steht. Da muss ja nur einmal ein anderes Festival seinen Gebietsschutz um 50 Kilometer vergrößern – wenn du in diesem Gebietsschutz bist, dann kriegst du diese Acts eben nicht mehr. Das ist bei uns eben unwahrscheinlicher. Natürlich brauchen wir große Acts, aber dadurch, dass wir in so verschiedenen Musikbereichen unterwegs sind und unser Publikum aus allen Altersklassen kommt, können diese Acts natürlich sowohl aus allen möglichen Bereichen kommen, wie sie auch jede Generation ansprechen können – wir können genauso an „Fatboy Slim“ denken, wie an „Fritz Kalkbrenner“ oder „Boys Noize“. Genauso können wir eben auch „Fettes Brot“ genauso bringen wie „Trailer Park“. Da ist das Publikum dann eben total gemischt, während beispielsweise eine Band wie „Fanta 4“ niemanden interessiert, der unter 40 ist.

Das Juicy Beats ist mit den Jahren sehr groß geworden und mit so einem Wachstum geht ja oftmals auch eine Veränderung des Festivalcharakters einher. Manche sagen sogar, dass großen Festivals die Intimität fehlt. Spürt ihr solche Veränderungen am Juicy Beats eigentlich auch?

Naja, natürlich gibt es Veränderungen. Früher konnte man bei der Hauptbühne bis um 17 Uhr oder so seine Decke schön auf die Wiese legen, runtergucken und unten waren die Leute, die eben vor der Bühne standen. Ich glaube, das passiert heute schon gar nicht mehr, weil die Leute genau wissen, dass es sich zügig füllen wird. Aber solche Sachen haben sich im Endeffekt nur räumlich verlagert. Das gleiche, was man früher vor der Hauptbühne gemacht hat, macht man jetzt vor der zweiten Hauptbühne. Wir haben auch darauf geachtet, dass bei der zweiten Hauptbühne vom programmatischen Aspekt her auch die Leute angesprochen werden, die das genauso haben wollen, sodass die ihren Bereich weiterhin haben. Das schöne am Westfalenpark ist ja, dass man so viele unterschiedliche Bereiche hat. Wenn man es intimer haben möchte, bleibt man eben an der Konzerthausbühne, oder geht zur Funkhaus Europa Bühne. Das gleiche gilt auch für die Floors; man kann auf den gehen, auf dem 1.500 Leute tanzen, aber auch auf den, wo vielleicht 150 Leute tanzen. Und es gibt auch noch eine weitere Auswahl: man hat zwei Floors, auf denen fast die selbe Musik läuft, nur dass auf dem einen ein DJ auflegt, der schon seit vielen Jahren dabei ist und ein Publikum um die 30 hat, während auf dem anderen eben die 18-Jährigen tanzen. Natürlich ist es insgesamt quirliger geworden, aber jeder kann noch seinen Bereich finden und jeder kann sich im Westfalenpark irgendwohin zurückziehen – das hat man bei anderen Festivals meistens nicht. Der Super-Avangardist, der nur auf Festivals sein möchte, von denen kaum einer wissen darf, ist beim Juicy Beats natürlich genauso falsch wie die Leute, die nicht akzeptieren, dass man auch mal größere, poppigere Acts buchen muss, weil das Publikum eben so gewachsen ist und man nicht nur völlig ausgefallene Sachen buchen darf. Die Diskussion hatte ich aber auch schon vor 10 Jahren, als irgendwelche Leute immer wegen Kreidler oder so kamen und mir dann erzählten, dass es jetzt auf einmal kommerziell geworden wäre.

Ganz ohne Kommerz begibt man sich vermutlich auch in ein großes Risiko, oder?

Natürlich, und wir wollen ja auch wenigstens ein bisschen wirtschaftlich gesettelter sein. Ich brauche jetzt jedenfalls nicht mehr mit dem Risiko an die Sache gehen, mit dem ich noch bei Juicy Beats 10 oder 12 hantiert habe, das würde ich heute auch überhaupt nicht mehr verkraften. Ein Festival ist immer Risiko, aber früher war es ja so, dass die Leute sich immer in der letzten Sekunde die Karten gekauft haben. Jetzt sind wir schon eine Woche vorher fast ausverkauft – das hatten wir noch nie. Noch vor vier Jahren haben wir am Abend vorher gebangt, weil wir nicht wussten, wieviele Leute wohl kommen werden.

Diese Größe, die das Juicy Beats inzwischen erreicht hat, war also auch beabsichtigt?

Das nicht unbedingt. Man kann ja nicht sagen, dass man in fünf Jahren 30.000 Menschen da haben möchte. Im Endeffekt hat sich das Juicy Beats die ganze Zeit entwickelt und deswegen ist es ja auch so geworden, wie es heute ist. Ich wollte zum Beispiel nie ein Festival machen, war früher nicht einmal ein Festivalgänger. Für mich war es ein Alptraum, weil es dort einfach so voll ist. Du hast eine Bühne, da wird die ganze Zeit geschoben, gesoffen, ich weiß nicht was noch alles…mir waren Clubs immer lieber. 200 Leute, die Bock haben, auf das, was man da tut und sich regelmäßig dort treffen. Und genau diesen Charakter wollten wir als Open-Air-Party in den Westfalenpark bringen. Jetzt ist es natürlich viel größer, aber dieses Ding, dass sich die Leute jedes Jahr wieder dort treffen, das hat man immernoch.

SchlakksPromo

Auch der Nordstadt-Rapper SCHLAKKS ist dieses Jahr mit dabei.

Wird es das zweitägige Juicy Beats nächstes Jahr eigentlich auch wieder geben, wenn es 2015 ein Erfolg wird? Oder ist das eine Art Jubiläums-Special?

Erstmal machen wir es wegen des Jubiläums. Aber jetzt gucken wir uns erstmal das Festival an. Es ist jedenfalls alles so angelaufen, wie wir es uns erhofft haben und es gibt schon viele Leute, die Bock haben, zwei Tage zu feiern.

Hast du denn auch ein Ziel oder bestimmte Träume, was das Juicy Beats betrifft?

Naja, das ist sicher schwierig. Aber wenn wir so den einen oder anderen Act bekommen könnten, der für einen persönlich ganz, ganz wichtig war…

Wer denn so zum Beispiel?

Na gut, ich komme ursprünglich aus dem House Bereich und habe mir früher immer gedacht, dass ich Kraftwerk gerne hätte. Allerdings wären wir bei deren Gagen sofort pleite. Und ansonsten…ich persönlich mag es auch, beim Booking immer wieder etwas überraschendes hervorzuzaubern. Wir haben beispielsweise damals die Deutsch-Amerikanische-Freundschaft eingeladen, die davor jahrelang kein Konzert mehr gegeben hatten und so ungefähr alle Gruftis des Ruhrgebiets kamen da zusammen und hatten riesig Spaß. Das Primavera in Spanien ist für solche Sachen ja bekannt, dass die immer wieder etwas herausholen, wo man sich fragt, wie sie auf die Idee gekommen sind. Die B-52’s beispielsweise – die würde ich sofort einladen, aber nur, wenn sie ihre alten Lieder spielen würden. Wo das Wetter zuletzt so schön war, habe ich wieder die alten UB40-Sachen aus dem Schrank geholt. Meinetwegen dürften die da auf der Bühne ihre Spliffs rauchen und ihre ersten zwei Alben runterspielen – und danach hätten wir dann noch Fat Freddy’s Drop, das fände ich super. Man muss dabei aber das Glück haben, dass man sie zur richtigen Zeit einlädt. Wenn da so Musik-Heroen auf der Bühne stehen, die nach einer halben Stunde in sich zusammenfallen, dann ist das traurig und damit bekommt man auch das Publikum nicht.

Du denkst dabei also vor allem an schon etwas ältere Acts, nicht?

Also die, die ich sofort auf die Bühne stellen würde, wenn ich sie denn kriegen würde, die sind tot. James Brown würde ich ohne Zögern auf die Bühne schmeißen, genauso Marvin Gaye. Über wen wir schon oft nachgedacht haben, war Roy Ayers. Aber da muss einem klar sein, dass das ein Liebhaber-Ding ist. Wer mir früher auch immer wieder angeboten wurde, war George Clinton, der mit Funkadelic immernoch durch die Gegend tourt. Allerdings meinte da der Agent zu mir: „Also wenn du die buchst, dann gibst du die Bühne aber für einen Tag an die Band ab! Unter drei Stunden fangen die gar nicht erst an.“ Das ist natürlich auch das besondere an denen, aber das kannst du bei einem Festival nicht bringen.  Aber umgekehrt, ich bin ja auch regelmäßig auf dem Reeperbahnfestival in Hamburg oder beim Eurosonic in Groningen und es gibt einfach immer wieder so viele gute neue Bands. Das wichtige ist nur, dass man sich nicht auf einen Stil festlegt, sondern schaut, was einen selber nochmal so richtig kickt. Letztes Jahr war ich in Groningen am ersten Tag beispielsweise völlig enttäuscht, weil die Bands alle gleich klangen. Also habe ich am zweiten Tag mein Programm über den Haufen geworfen und mir nur noch die Sachen angeschaut, die ich geil finde, auch wenn ich nicht wusste, was ich in Bezug auf das Festival damit anfangen soll. Und da habe ich mehrere total geile Bands gesehen, bei denen die Hütte auseinander geflogen ist. Eine von denen – da freue ich mich sehr drauf – ist auch dieses Jahr dabei. Pomrad heißen die und die machen so einen P-Funk-Sound à la George Clinton. Einer hatte irgendwie sechs Keyboards über sich platziert, ein anderer hatte so eine Keyboard-Gitarre, dann saß da noch einer umringt von Elektroschlagzeugen. Wenn du jedem von denen noch einen Arm mehr gegeben hättest, dann hätten sie den auch noch benutzt. Mit denen ist der Laden explodiert! Und ob die Leute das beim Juicy Beats gut finden werden oder nicht, es wird sie überraschen. Sowas macht mir eben total Spaß, aber diese Dinge kannst du natürlich nur dann machen, wenn du ein funktionierendes Festival hast. Das bringt einer Band ja auch überhaupt nichts, wenn ich die irgendwohin hole, wo dann nur so unbekannte Bands sind und kein Publikum. Davon hat die Band dann nichts außer einer langen Reise und vielleicht einer kleinen Gage.

Bei euch gibt es dank des Geländes und der vielen Bühnen bzw. Floors ja auch recht viel Laufkundschaft, die dann mal eher zufällig über eine Band stolpert und von ihr begeistert wird.

Klar, aber das ist bei Festivals ja sowieso oft so, dass man herumläuft, da mal stehen bleibt, weitergeht etc. Also sich einen festen Plan zu machen, bringt jedenfalls nichts, da darf man sich ruhig mal treiben lassen.

Ist es für euch eigentlich schwierig, Musik für junge Leute zu finden oder mit jungen Bands umzugehen? Du bist ja beileibe nicht alt, aber eben auch keine 25 mehr..

Da fällt mir etwas ein, was mir meine Freundin gestern erzählt hat. Eine Freundin von ihr hat letztens in der Bahn gesessen und gehört, wie sich zwei Mädchen über das Juicy Beats unterhielten: „Ey, zum Juicy Beats kannste eigentlich gar nicht gehen. Das macht so ein alter Mann“! Da blieb mir erstmal die Spucke weg. Ich meine, was denken die denn, wer solche Festivals organisiert? Der in ihrer Klasse wird sowas sicher nicht auf die Beine stellen. Man darf ja nicht vergessen, mit was für Summen da hantiert wird. Und wir gehören noch zu den jüngeren.. Manche, die ein Festival organisieren, sind zum Beispiel schon 70. Und du brauchst diese Erfahrung ja, sonst kannst du diese Verantwortung überhaupt nicht übernehmen. Das geht ja gar nicht. Der Watzke beispielsweise ist doch auch nicht erst 30. Und den Reus, so gut er als Fußballer ist, den will doch niemand als BVB-Präsident haben, dann ist der Verein doch sofort pleite. Von den Jugendlichen wird oft unterschätzt, dass die Leute, die heute etwas älter sind, doch früher die gleichen Erfahrungen gemacht haben, wie sie heute. Junge Leute halten sich oft für so supercool, dabei haben die doch noch kaum etwas erlebt. Das wichtige bei einem Festival ist, dass da ein Team dahinter steht, das schon seit Jahren zusammenarbeitet, in dem man sich aufeinander verlassen kann. Alle wissen, wie sowas läuft, wer wie tickt. Und zusätzlich zu denen, die seit Jahren dabei sind, sind dann immer wieder neue Leute gestoßen.

Weil das Festival immer weiter angewachsen ist?

Ja genau. Aber auch Auszubildende haben wir mittlerweile, sowie 200 Volontäre, die von überall her kommen. die nehmen sich zum Teil eine Wohnung, um für das Wochenende bei uns zu arbeiten. Manche von denen finden das Festival einfach toll, andere wissen eventuell noch nicht, ob sie eine Ausbildung machen wollen und schnuppern einfach mal in den Bereich hinein. Andere wiederum wenden hier ihre Berufserfahrung an, auch wenn sie aus einem völlig anderen Bereich kommen. Zum Beispiel haben wir eine Frau, die seit acht Jahren dabei ist und das Shutteling bei uns macht. Sie ist auch Volontärin, aber sie koordiniert die zehn Künstlershuttles. Die kommt eigentlich aus der Logistikbranche, was für uns natürlich super ist, weil die weiß, wie das geht.

Habt ihr denn angesichts der neuen Größenordnung des Juicy Beats eigentlich länger mit der Stadt verhandeln müssen?

Ach nein, nicht wirklich. Verhandeln müssen wir immer, aber solange es nicht mehr kostet, passt das schon. Die haben ja auch was vom Juicy Beats, denn mit einem Festival bist du über das ganze Jahr hinweg immer in den Medien. Nicht umsonst versuchen so viele Kulturbüros und Städte jetzt, ihr eigenes Festival zu machen; weil sie einfach wissen, dass der zeitliche und finanzielle Aufwand in einem sehr guten Verhältnis zur nationalen Medienpräsenz steht. In Dortmund geht es bisher leider fast immer nur um die Borussia. Ich habe wirklich nichts gegen die Borussia, aber das ist doch viel zu eindimensional. Die Stadt hat noch viel mehr als das und macht sich auf diese Weise sehr abhängig von einer Sache. Wie wahnsinnig viel man über Musik auch am Image machen kann sieht man, wenn man sich Berlin oder Hamburg anschaut. Aber das ist hier leider noch nicht so richtig angekommen.

Danke Carsten. Wir wünschen dir, deinem Team und allen Besuchern ein tolles Jubiläumsfestival!

Bjoern Hering

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2 comments on “„Ich wollte nie ein Festival machen.“ Juicy Beats-Organisator Carsten Helmich im Interview mit LJOE”

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