Kreative Energie im Unionviertel

Außenansicht auf die erste Location des Pop-Up Studios. Dahinter zu erahnen... / Foto: Pop-Up StudioAußenansicht auf die erste Location des Pop-Up Studios. Dahinter zu erahnen… / Foto: Pop-Up Studio

Tapir Media von innen

…das Büro von Tapir Media. / Foto: Tapir Media

Seit einiger Zeit kann es einem öfter mal passieren, dass man am U in die Rheinische Straße einbiegt und dort auf den ersten Metern von einer Menschenmasse in die nächste gerät. Der Straßenabschnitt zwischen Marlene Bar und Kraftstoff mausert sich immer mehr zu einem hippen Dortmunder Partymeilchen, seit nach der 44309 StreetartGallery rechterhand des Café Banane kurz nacheinander erst Tapir Media und dann nebenan das Pop-Up Studio ihre Räume bezogen.

Seitdem verging jenseits des Rings keine Woche ohne Lesung, Konzert, Ausstellung, Vortrag oder ähnliches. Weil vieles die beiden Medienagenturen verbindet und wir von dieser Kreativität, die Dortmund auf so begrüßenswerte Weise auffrischt, angetan waren, arrangierten wir ein gemeinsames Treffen mit David Doehrer, Dennis Treu (beide Tapir Media) und Marius Sonnentag (einer der Gründer des Pop-Up Studio), damit sie uns mal aufklären, wie sie auf die Idee kamen, ihre Büros zu Veranstaltungsräumen zu machen, was die entscheidenden Faktoren für das Gelingen ihrer jeweiligen Projekte war und wie überhaupt ihre Auffassung von Konkurrenz und Kooperation aussieht. Die Dynamik des daraufhin vereinbarten Gesprächs zeigt, wie gut jungen Unternehmen eine gemeinsame Bewältigung der Aufgaben tut und dass nicht nur Konkurrenz die Leistungen beflügelt – auch wenn das oft behauptet wird.

LJOE: Marius, fangen wir mit dir bzw. dem Pop-Up Studio an. Wie nahm bei euch alles seinen Lauf und was steht dahinter?

Marius: Johannes und ich kennen aus Mannheim, schon seit wir 14 sind. Dort haben wir beide Grafikdesign studiert. Nach dem Studium haben wir nie den Kontakt verloren und als er wegen seiner Freundin nach Dortmund gezogen ist, hatten wir die Idee, eine Bürogemeinschaft zu gründen. Uns fiel bald auf, dass so wahnsinnig viel leersteht und wir das nutzen könnten. Das war so der Ausgangspunkt, von da ist es weiter gediehen, bis es zum Pop-Up Studio wurde.

LJOE: Und das ist genau was?

Marius: Wir beziehen einen Leerstand und geben dafür dem Viertel und den Anwohnern etwas zurück, indem wir ihn nicht nur als Büroraum nutzen, sondern auch Veranstaltungen machen, bei denen wir das Werk anderer Menschen präsentieren und Wissensbildung anregen. Dort bleiben wir einige Zeit und ziehen dann weiter in den nächsten Leerstand.

LJOE: Normalerweise sind Grafikbüros ja keine für jedermann begehbare Räume.

Marius: Genau. Also haben wir herumgesponnen, was man da so machen könnte, haben das einfach mal in ein dreiseitiges PDF-Expose gepackt und sind eigentlich nur durch Zufall an die Invest geraten.

LJOE: Die Invest ist…

Marius: Eine Genossenschaft für das Unionviertel. Die sollen/wollen hier vermehrt Kreative ansiedeln. Die haben extra eine Zeitschrift und verschiedene Angebote für Gründer. Bei einer ihrer Veranstaltungen war Johannes und hat denen von unserem Plan erzählt. Die haben uns daraufhin ermutigt, das mal vorzustellen, was wir dann auch gemacht haben. Die fanden das super und haben uns kurze Zeit später im August für die Nebenkosten plus noch ein paar Euro mehr die ersten Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt.

LJOE: David und Dennis: Und jetzt erzählt uns doch bitte mal die Geschichte von Tapir Media.

David: Bei uns ist es auch so, dass Dennis und ich uns inzwischen auch schon seit Jahrzehnten kennen. Wir haben beide in Gelsenkirchen unsere Ausbildung gemacht, ich habe danach angefangen, in Dortmund Grafikdesign zu studieren, während Dennis hier ein Fotodesign-Studium anfing. Wir haben schon früh Pläne geschmiedet, irgendwann mal was zusammen zu machen – damals war das aber mehr so herumgesponnen.

Publikum im Tapir Media Büro

Foto: Tapir Media

LJOE: Und wann wurde es dann konkret, bzw. was hat den Ausschlag gegeben, loszulegen?

David: Den Beschluss, eine eigene Bude aufzumachen, haben wir 2013 gefasst, nachdem wir schon jahrelang als Freiberufler alles mögliche durch hatten. Wir können Grafikdesign, Fotodesign, Illustrationskram und mit Daniel (Hacker, Anm. d. Red.), der die meiste Zeit in Köln bei einer Postproduktionsfirma arbeitet, auch noch Film – also war eine Medienagentur naheliegend. Das mit den Veranstaltungen haben wir dabei nur angedacht, in erster Linie ging es uns eher darum, eine GbR zu gründen, ein Büro zu haben und anzufangen mit arbeiten. Ein Jahr lang haben wir das in Hörde in einer leerstehenden Dachgeschosswohnung gemacht und in dieser Zeit wurde uns klar, dass wir einen zentraleren Standort möchten und neben dem ganzen Tagesgeschäft auch Bock auf Ausstellungen haben, andere Leute ins Boot zu holen und Konzerte veranstalten wollen. Auf der Suche nach Räumen sind wir dann auf die Invest gestoßen und der Rest lief dann eigentlich wie bei Marius und Johannes.

LJOE: Das heißt, die Invest wollte also genau das? Dass ihr hier Veranstaltungen abhaltet?

Marius: Ja. Tapir und das Pop-Up Studio sind nämlich sogenannte „Impulsprojekte“, weil wir mit unseren Lesungen, Vorträgen etc. eben auch etwas zurückgeben.

David: Die Invest ist quasi das Quartiersmanagement oder gehört da dazu. Der übergeordnete Rahmen ist das Förderprogramm Kreativ.Quartiere Ruhr, womit durch EU-Gelder die Viertel aufgeforstet werden sollen. Das gibt es in Duisburg-Ruhrort, Witten, Essen, Gelsenkirchen, Bochum – und in Dortmund ist es halt das Unionviertel.

Der Deal: Weitestgehender Mieterlass für Impulsgebung

Marius: Deshalb bekommen wir die Räume hier überhaupt zu so günstigen Konditionen. Wir zahlen schließlich nur die Nebenkosten plus ein paar Euro extra und setzen im Gegenzug Impulse für das Unionviertel. Dafür mussten wir aber auch alles renovieren und das war schon echt extrem. Unser Raum war ein richtiger Rohbau: kein Strom, keine Heizungen. Mittlerweile haben wir immerhin eine Steckdose bei uns und auch Heizungen. Dafür konnten wir aber eben auch alles so machen, wie wir es haben wollten.

Das Pop-Up Studio von innen / Foto: Marius Sonnentag

Das Pop-Up Studio von innen. / Foto: Marius Sonnentag

David: In dem Zustand war es bei uns auch. Als wir kamen, gab es hier genau eine Steckdose, den Rest haben wir gelegt.

LJOE: Wie, ihr habt die Steckdosen gelegt?

David: Wir haben alles hier gemacht. In der Zwischendecke lag ein Kabelsalat vom allerfeinsten, das musste man alles rausreißen. Ein Kollege, der gelernter Elektriker ist, hat uns dafür dann richtig starke Leitungen gelegt – wir könnten hier eine monstermäßige Anlage anschließen.

Marius: War wir ja schonmal genutzt haben. Bei zwei Konzerten war es uns zu riskant, alles nur über eine Steckdose laufen zu lassen. Deshalb hatten wir nur Licht und den Beamer bei uns drüber laufen und die Anlage ging freundlicherweise über Tapir. Insgesamt muss man echt sagen, dass uns Tapir schön unterstützt hat. Das ist so toll mit denen, dass ich schon gespannt bin, wie es in der nächsten Location wird. Und ein bisschen traurig auch.

Konzert von SineSleeper im Pop-Up Studio. / Foto: David Fuesgen

Konzert von SineSleeper im Pop-Up Studio. / Foto: David Fuesgen

LJOE: Das ist also weiterhin fest in Planung, auch wenn es euch hier so gut gefällt?

Marius: Ja, es steht noch nicht fest, wo die nächste Location sein wird, aber in diesen Tagen werden wir da wohl Bescheid bekommen.

LJOE: Werdet ihr denn hier im Unionviertel bleiben?

Marius: Erstmal schon, das wird jetzt ja auch wieder über die Invest laufen. Aber wir überlegen natürlich auch, ob wir uns irgendwann einmal auch woanders in Dortmund umschauen werden. Mit diesen Räumen hier waren wir allerdings sehr happy.

LJOE: Könnt ihr denn zu einem normalen Vermieter hingehen und sagen, ihr wollt nur für ein paar Monate mieten und dafür dann auch noch kaum mehr als die Nebenkosten zahlen?

David: Warum nicht? Man kann ja zumindest mal anfragen.

Marius: Genau. Manche werden kein Interesse haben, andere aber vielleicht schon. Das ist doch noch immer besser, als wenn die Räume leerstehen, zugeklebt oder besprüht werden. Man kann ja trotzdem einen Aufkleber an der Tür oder am Fenster haben, wo draufsteht: ‚Ich bin noch zu mieten‘.

LJOE: Und wisst ihr schon, was auf euch folgen wird, wenn ihr auszieht?

Marius: Hier kommt eine Gastronomie rein. Das wird aber vermutlich noch bis Anfang nächsten Jahres dauern, der muss schließlich auch erst wieder alles neu machen.

LJOE: Habt ihr eigentlich keine Sorge, bei einem Umzug Publikum zu verlieren?

Marius: Mag schon sein. Das haben uns schon einige gesagt und die Möglichkeit ist uns auch bewusst. Aber unser Publikum setzt sich ja auch schon jetzt heterogen zusammen – aus immer wieder kommenden und aber auch aus immer neuen Leuten aus verschiedenen Richtungen.

David: Ich glaube jedenfalls, dass sich mittlerweile so sehr herumgesprochen hat, dass ihr euch da eigentlich keine Sorgen machen müsst.

„Wir wollen keine Ellenbogenmentalität“

LJOE: Schauen wir zum Abschluss nochmal auf das euren Designbüros zugrunde liegende Konzept. Im Tapir-Bau hängt ja derzeit noch eine Ausstellung – das sieht toll aus, bedeutet aber auch, dass Passanten hineinkommen, um sich die Ausstellungsstücke genauer anzuschauen. Stört euch das nicht auch ein wenig?

Bei der Edgar Allen Poe-Lesung von Norbert Ripke platzte der Tapir-Bau aus allen Nähten. / Foto: Tapir Media

Norbert Ripke liest Edgar Allen Poe-Lesung und an den Wänden hängen die Werke von Sascha Voß (aka WrittenInBlack). / Foto: Tapir Media

David: Nein, wir wollten ja extra mal etwas machen, das nicht mit Kunden zu tun hat. Etwas, das wir irgendwie auch für uns selbst machen. Netzwerken, neue Leute kennenlernen. In Dortmund tut sich da ja im Moment auch richtig viel.

Marius: Allerdings vor allem hier. Durch dieses Kreativ.Quartiere Ruhr fließt jetzt quasi alles Geld, was für Kreative da ist, ins Unionviertel. Andere Viertel haben es deshalb eher schwer, kreativwirtschaftliche Projekte zu realisieren. Solche Programme haben eben nicht nur Vorteile.

David: Im Saarlandstraßenviertel, wo ich wohne, gibt es auch Agenturen, aber die machen es ganz anders. Die sind halt etabliert genug oder machen es aus Überzeugung oldschool: Connections haben und pflegen, auf das Tagesgeschäft konzentrieren. Das hat dann nichts mit Laufkundschaft oder öffentlichem Raum zu tun, wie wir unsere Agentur konzipiert haben.

LJOE: Das Prinzip der Offenheit wendet ihr also sowohl auf eure Räumlichkeiten wie auch auf eure Arbeitsweise an?

David: Wir wehren uns gegen diese konventionelle Ellenbogenmentalität in unserem Geschäft. Ständig drückt man die Preise, nimmt sich gegenseitig die Kunden weg und will nichts miteinander zu tun haben, weil ja alles potenzielle Konkurrenz ist. Wir sehen das komplett anders. Zusammen kann man vielleicht auch mal Aufträge bekommen, die man sonst nicht bekommen würde, weil jeder andere Kompetenzbereiche abdeckt.

Neues Branchenverständnis muss meistens erst erklärt werden

Es geht vor allem darum, Leute zusammenzubringen und Wissen zu vernetzen. Wie hier beim Illustrationsstammtisch mit Peter Dahmen. / Foto: Dennis Treu

Es geht vor allem darum, Leute zusammenzubringen und Wissen zu vernetzen. Wie hier beim Illustrationsstammtisch mit Peter Dahmen im Pop-Up Studio. / Foto: Dennis Treu

Marius: Das ist auch unser Ansatz. Hier sind so viele Leute, von denen man nichts mitbekommt und wir wollen diese nicht nur miteinander verbinden, sondern im Idealfall zeigen, dass auch größere Aufträge nicht immer nur nach Düsseldorf oder Hamburg gehen müssen.

David: Es gibt hier in Dortmund eigentlich eine Szene, die gar nicht weiß, dass sie eine Szene ist. Und sonst weiß es auch niemand. Das halte ich echt für ein Problem, das wir zu lösen versuchen, indem wir die Menschen zusammenbringen.

Dennis: Unsere Veranstaltungen sind ja nicht dafür da, um Geld zu verdienen. Wenn dabei ein neuer Auftrag herumkommt, dann ist das natürlich schön, aber grundsätzlich geht es erstmal darum, sich kennenzulernen und sich zu vernetzen.

LJOE: Kommt es denn öfter mal vor, dass die Leute euer Konzept nicht verstehen?

Dennis: Ach, bei uns eigentlich nur ganz selten. Wir mussten das eher erst einmal für uns selbst klar kriegen, denn wir sind da schon naiv dran gegangen. Denn als die Invest das Angebot machte, haben wir einfach schnell zugegriffen, weil wir uns diese Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten. Bis wir die erste Veranstaltung hier hatten, hat es ja auch einige Zeit gedauert.

Marius: Wir haben am Anfang gar nicht wirklich propagiert was wir sind, deshalb stellten Besucher unserer Veranstaltungen diese Frage anfangs schon öfters. Vor allem sorgt aber oft für Unverständnis, warum wir das machen, wenn wir doch kein Geld damit verdienen. Beispielsweise waren wir auch bei Kreativpiloten, so einem Projekt vom Bund. Da wurden wir auf unser Exposé hin eingeladen und bei den anschließenden Interviews ging es dann im Kern immer um die Frage, was unser Geschäftsmodell ist. Die waren eben schon eher kommerziell ausgelegt, suchten Start-Ups und Enterpreneure und dachten dann schon, wir würden mit der Aufwertung leerstehender Räume Geld verdienen wollen. Dass es dabei mehr um Netzwerke und Synergien geht, wollten denen irgendwie nicht so recht einleuchten.

David: Das ist für viele nicht konkret genug.

Marius: Das und dass man uneigennützig handelt. Dieses Abweichen vom üblichen Pfad, das verstehen viele erstmal nicht. Dabei fragen wir uns doch einfach nur nicht, wie wir möglichst viel Kohle damit machen können.

 

Anmerkungen:
Am 30.10. stieg die letzte Veranstaltung der Pop-Up Studios in der Rheinischen Straße. Aber keine Sorge: Nach ihrem Umzug im November geht es bald wieder weiter.
Und bei den Jungs von Tapir Media wird ab dem 6. November eine neue Ausstellung zu sehen sein.
Bjoern Hering

Teile diesen Artikel: