24 Stunden auf Acid. Für immer.

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Foto: Pea / Flickr / License: CC BY-NC-ND 2.0

Ich treffe Jaime* in einer spanischen Bar, es ist eine dieser typischen Nächte, wenn sich die Freaks aus den dunklen Gassen hierher allabendlich verirren und bei Marihuana und kaltem Bier auf den Clubrausch vorbereiten. Es gibt nicht viele Bars an diesem Ort, und eigentlich auch nur genau einen Club. Die Szene ist überschaubar und verbringt ihr so wie ich mehrere Wochen auf diesem Inselchen, diesem Kleinod im Mittelmeer, dann kennt ihr schon nach der ersten Woche jedes verdammte Gesicht. Jaime habe ich bis jetzt noch nie hier gesehen, aber die anderen scheinen ihn zu kennen, denn er steuert direkt auf unseren wackeligen Tisch zu. Ein großer Kerl, mit dichten Locken,vollen Stoner-Kotletten und einem Terry Richardson Kassengestell im verbrannten Gesicht.
Ich stelle mich ihm vor, aber das scheint ihn nicht sonderlich zu interessieren. Er käme direkt aus Barcelona zurück, fünf Tage Barcelona! Dabei verdreht er die Augen, hält sich den Zeigefinger an die Nase und macht mit lauten Schniefgeräuschen die große Kokser-Geste nach. Seine Augen werden größer und er beginnt diabolisch zu lachen. „Barcelona!“, brüllt er und klopft mir mit voller Wucht auf die Schulter. Ich schrecke zusammen, denn in seinen Augen kann ich bisweilen nichts Menschliches, dafür aber eine gehörige Portion Wahnsinn erkennen. Während er mich festhält, beginnt sein Buddy, ein eher unauffälliger Typ mit Reinhard May Brille, den ich vorher gar nicht beachtet habe, aus einem debilen Kichern mit Jaime in eine schallende Wand aus überlautem Gelächter einzustimmen. „Barcelona!“, schreien sie aus vollem Hals und schlagen mehrfach ziemlich ungeschickt miteinander ein. Die paar Touristen, die sich noch an diesen einsamen Ort verirrt haben, schauen sich zu uns um und weichen vorsichtshalber zwei Schritte zurück. Jaimes linke Hand, mit der rechten hat er immer noch meine Schulter fest im Griff, zückt einen kleinen Fotoapparat aus der Brusttasche. Er positioniert mich neben meine zwei sichtlich überraschten Begleiterinnen. Wir beginnen gekonnt freundlich in die Kamera zu grinsen, aber Jaime zielt mit dem Ding auf unsere Füße und präsentiert uns, immer noch zappelnd vor Lachen, stolz ein Bild von unseren Schuhen.

„Just your shoes!“, brüllt er schäbig lachend, drückt mir den Fotoapparat in die Hand und dreht sich abwinkend weg. Ich beginne, durch seine Bilder zu scrollen. Was soll ich sagen, die Speicherkarte ist voll mit Müll, der Typ knipst sich einfach durch die Welt, so dilettantisch, dass es weder Kunst noch Anti-Kunst sein kann. Ich will ihm das Ding zurückgeben, aber Jaime und sein Buddy sind gerade damit beschäftigt, sich bei Grunzlauten gegenseitig den Bierschaum in den Bart des anderen zu reiben. „Jaime!“, rufe ich, erst leise, dann lauter. Beim dritten Rufen bleibt er plötzlich wie versteinert stehen, ganz so, als ob der liebe Gott ihn persönlich angesprochen hat. Schlagartig wird mir klar: Der Typ ist voll auf Acid. Da er sich nicht weiter rührt, probiere ich es noch einmal. „Jaime!“, rufe ich und beginne, mit der Kamera zu wedeln. Langsam komme ich mir vor, als wäre ich unfreiwillig in Fear & Loathing in Las Vegas gelandet. Ein verzerrtes Grinsen schneidet sich wie ein veralteter Effekt aus einem Michael Jackson Video in ihre erstarrten Gesichter, schließlich stolpern sie wieder zu uns herüber. Jaime pult aus seiner Hosentasche einen iPod hervor, hält ihn mir vor die Nase und zeigt mir eine Videosequenz. Sie geht nur 13 Sekunden und zeigt eine verwackelte Aufnahme von seinem Buddy, der am Tresen lehnt und sich zu unterhalten scheint. „Sieh mich an!“, brüllt sein Buddy und zeigt aufgeregt auf den kleinen Touchscreen. „Sieh mich an! Sieh mich an, wie ich da stehe und rede! Blah blah blah! Blah blah blah!“ er bricht vor Lachen zusammen und rollt unkoordiniert über den Asphalt. „Blah blah blah!“, fällt jetzt auch  Jaime mit ein und wiederholt unaufhörlich diese Worte. „Blah blah blah!“, schallt es durch die Nacht und beide kugeln vor Lachen über der staubigen Asphalt. Ich lege die kleine Kamera auf dem Tisch neben Jaimes Glas, nehme meine Begleitungen in den Arm und gehe durch die Gassen in die Nacht hinaus. „Blah blah blah! Blah blah blah!“, schallt es noch lange hinter uns her und man hört ihr Lachen noch hinunter bis zum Meer. 

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Foto: Renato Carvalho / Flickr / Licence: CC BY-NC-ND 2.0

 Was soll ich sagen, ab diesem Tag habe ich Jaime jeden Tag wieder getroffen. In den unerwartetsten Situationen steht er plötzlich vor mir, rempelt mich an, tritt mir auf die Füße, umarmt mich zärtlich, küsst mich auf die Wangen, erzählt mir von Konzerten, die ich unbedingt sehen müsse, lacht, trinkt, lacht noch lauter und nimmt noch mehr Acid. Seine Aktionen sind unkontrollierbar und seine Reaktionen unberechenbar, ganz so, als hätte man einen völlig von Hormonen und ADHS zerschossenen 13-jährigen vor sich. Irgendwann erzählt mir jemand, dass Jaime mal kleben geblieben ist, aber statt sich zu therapieren, mache er einfach immer weiter. Ein ewiger Trip, Himmel und Hölle, ein neuronales Donnerwetter. 24 Stunden auf Acid. Jeden Tag.

(* Der Name wurde aus Schutz der Persönlichkeit von uns verändert)

 

Bjoern Hering

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