Brennpunkt Möllerbrücke: Zwischen Möllern und Böllern

Tatort Möllerbrücke / Foto: Wikimedia Commons

Horror an der Möllerbrücke. Erschreckende Zustände im Kreuzviertel. So die Berichterstattungen, die zur Zeit durch Dortmunds renommierte Digitalmedien-Mühle getrieben werden. Anwohner gehen endlich auf die Barrikaden und berichten in aller Öffentlichkeit von Zuständen, wie man sie nur auf der anderen Seite der Stadt, richtig, in der Nordstadt erwarten würde. Und auch im Saarlandstraßenviertel gibt es Anwohner, die mit der Dynamik einer lebendigen Stadt so ihre Probleme haben.

„Brooklyn – Dortmund – alles im Arsch!!!“, so hat es schon im Jahre 1995 die Dortmunder Heavy Metal Band RANDALICA vorhergesagt. Und spätestens jetzt bestätigen das auch die Bewohner rund um die Möllerbrücke. Das jahrelang geduldete „möllern“, also das Abhängen junger Menschen auf einer mit wahrscheinlich ziemlich viel Feinstaub belasteten Kreuzung in direkter Nähe des Westparks, wird ihnen nun endgültig zu bunt. Ein kühles Getränk mit Freunden an einem lauen Sommerabend auf einer Großstadtbrücke, das spiegelt Idylle pur wieder. So mag es der Kreuzviertelbewohner. Eine Gattung Mensch, die früher selbst diese milden Sommerabende mit ihren Studi-Kollegen genießen konnte. Mittlerweile zum echten Erwachsenen gereift, bleibt das Kreuzviertel der urbane Kiez, mit dem sich Großstädter schmücken, die den Vorort süffisant belächeln.

Das Abhängen auf der Möllerbrücke im Herzen Dortmunds hat schon lange Tradition unter Dortmunder Stadtbewohnern. Mittlerweile hat es sich zu einer Institution gemausert, von der jeder etwas hat: Nichts ist wichtiger für eine Stadt als das Gefühl des Zusammenwachsens, der Zugehörigkeit und der Identifikation. Wird Dortmund nach außen durch die landesweiten Medien immer wieder zu einem gar nicht lebenswerten Raum in Deutschland degradiert, entwickelt sich gerade an öffentlichen Orten wie der Möllerbrücke ein ganz anderes, positives kollektives Bewusstsein. Dass es mittlerweile immer voller wird auf der eigentlich gar nicht so besonders erscheinenden Brücke, ist ein Phänomen, welches einer ganz eigenen Großstadtdynamik entspringt. Es geht um nicht mehr als um die völlig eigenwillige und ungeplante Nutzung des öffentlichen Raumes. Jeder, der in der Nähe solcher Orte einen Wohnraum bezieht, sollte sich dieser Ambivalenz durchaus bewusst sein. Denn das Großstadtgefühl, dass er dem Leben im Vorort vorzieht, entspringt genau hier. Sich darüber aufzuregen ist hier fehl am Platz.

Auch im Saarlandstraßenviertel entstand vor etwas über einem Jahr eine lebendige, urbane Oase. Auf einem Dreieck mitten auf der Saarlandstraße treffen sich allabendlich Nachbarn und Freunde in zwangloser Atmosphäre. Auch hier gab es aus den umliegenden Häusern Beschwerden und Proteste. Es stellt sich die Frage, ob man eine Wohnung in einer der beliebtesten und buntesten Straßen der Stadt beziehen muss, wenn einen das Leben unter seinem Fenster so arg stört. Soviel zur Kontroverse.

Vergangene Woche berichtete Ruhr24 über zwei Anwohner der Möllerbrücke, die die erschreckenden Zustände an der Möllerbrücke skizzierten: Pinkelnde Mädchen in den Büschen, es wird sogar in aller Öffentlichkeit gekackt. Dazu Scherben, Gebrüll und Böller. Es klingt, als würde jeder Dortmunder zum unbändigen Hulk mutieren, sobald er die verfluchte Brücke betritt. Ich möchte daran erinnern, dass 99 Prozent aller Menschen, die dort sitzen, nicht unbedingt wie Urmenschen ihr Geschäft haltlos im Busch verrichten und dabei wild grölend ihre Flaschen auf dem Beton zerdeppern. Ein jeder Ort, der Menschenansammlungen anzieht, zieht auch Personen an, die sich am Ende des Abends daneben benehmen. Das lässt sich durch einfache Platzverweise, Kontrollen der Polizei und eine eventuelle Beschränkung der Uhrzeit zum Versammeln auf einem öffentlichen Platz in den Griff kriegen. Ein so absurder Lösungsvorschlag, wie den Bau eines Jugendtreffs, wie es unlängst SPD und Grüne prüfen ließen, zeigt wieder einmal die Entfernung zwischen städtischer Politik und urbaner Realität. Öffentlich gewachsene Phänomene kann man nicht in einen eigens dafür gebauten Raum verbannen. Dazu lungern auf der Möllerbrücke keine Problem-Teenies herum. Es sind Menschen jeglichen Alters, die sich dort gerne treffen. Wem das über den Kopf wächst, der ist irgendwann vielleicht doch ein Kandidat für den etwas ruhigeren Vorort.

Bjoern Hering

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