Will man nur Eis haben, wenn man Eis kauft?

Noch immer beliebt: Eis auf Rädern.

Beim Eis zählt nicht nur die Qualität. / Foto: Carl Spencer / Flickr / License: CC BY-NC 2.0

Die „Servicezeit“ des WDR hat jüngst eine Liste veröffentlicht, auf der sich die Preise für eine Kugel Eis in jeweils 10 Eisdielen der größten Städte Nordrhein-Westfalens finden. So viel vorweg: Die teuerste Stadt war NICHT Düsseldorf, sondern Bonn, mit einem Durchschnittspreis von 1,08 Euro. Vielmehr ist die so oft für ihre teilweise  überdurchschnittlich wohlhabenden Bürger gescholtene Landeshauptstadt mit 93 Cent pro Kugel sogar die günstigste aller getesteten Städte. Der landesweite Durchschnittspreis für ein Kügelchen Eis liegt diesen Stichproben (wie der WDR seine Erhebung bewusst vorsichtig nennt) zufolge bei 98 Cent. Hinter der Beamtenstadt Bonn ist Dortmund demnach mit genau einem Euro die zweitteuerste Stadt in NRW. Mit einem Spitzenpreis von 1,20 €.

Das mag teuer klingen, ist aber längst nicht das Ende der Fahnenstange. Im Eiswerk beispielsweise gibt es seit diesem Jahr eine neue Preisstaffelung, die in 1,60 € pro Kugel für einzelne, in der Herstellung besonders aufwändige, Sorten gipfelt. „Eigentlich hätte ich die Preise allgemein anheben müssen, da beispielsweise Nüsse im letzten Jahr um fast 70 Prozent teurer geworden sind“, erklärt die Eiswerk-Gründerin Nina Lenninghaus. Weil sie aber klassische Sorten weiterhin für einen Euro verkaufen können wollte, entschied sie sich für die Staffelung. Die Konsumenten scheint das nicht wirklich zu jucken. Auch die teuren Sorten laufen nämlich gut – sogar besser als es Lenninghaus selbst erwartet hatte. Ob die neuen Preise wirklich ausschließlich die gestiegenen Kosten ausgleichen sollen, ist jedoch fraglich. Denn wie die Unternehmerin selbst sagt, könne sie nun Eissorten anbieten, die vorher nicht möglich gewesen wären. Das bedeutet folglich, dass durch die gestiegenen Preise auch der Gewinn des Eiswerks gestiegen ist. Allerdings schaffen Konkurrenten wie beispielsweise das Eiscafé Angelo Losego es auch, zu der schon bestehenden Unmenge ausgefallener Sorten auch immer wieder neue zu kreieren und trotzdem für jede Kugel nur einen Euro zu verlangen. Sie sei „aber schon gespannt, wann die ersten Konkurrenten nachziehen“, meint Lenninghaus noch. Und ja, da das Pilotprojekt zu gelingen scheint, ist ein allgemeiner Anstieg schon gar nicht mehr so undenkbar.

Wieso akzeptiert man höhere Preise?

Die Bereitschaft, überdurchschnittlich viel für ein Eis zu zahlen, setzt sich vermutlich daraus zusammen, dass man zum einen nicht am Hungertuch nagt und zum anderen zu der Überzeugung gelangt ist, dass gute Lebensmittel eben teurer, aber auch besser für die Natur und den eigenen Körper sind. Und der Erfolg der bio-Lebensmittel-Bewegung zeigt ja, dass mittlerweile viele Menschen genau darauf Wert legen. Wer überzeugter Konsument der bio-Produktpalette ist, dem passt bio-Eis natürlich perfekt ins Programm. Nur: Wenn wir das Eis aus dem Eiswerk als bio-Eis verstehen (wie es dem Anschein nach die meisten Leute tun), dann konstruieren wir uns einen Mythos. Denn das Wort „bio“ ist weder in den Eiswerk-Filialen zu lesen, noch behauptet das Unternehmen selbst, nach bio-Standards zu produzieren. Daraus macht Lenninghaus auch keinen Hehl: „Wir verwenden ausschließlich natürliche Zutaten. Keine Geschmacksverstärker, keine chemischen Farbstoffe, keine Stabilisatoren. Manche unserer Zutaten sind zwar bio, aber nicht alle.“ So begrüßenswert das ist, die Ernährungsmoral manch eines Ernährungsfanatikers gerät da schnell mal ins Wanken, weil – entgegen dem alltäglichen Sprachgebrauch – „nur natürliche Zutaten“ eben nicht automatisch bio ist. Wer jedenfalls während des Verzehrs seiner Eiscreme meint, dank bio-Milch und fairtrade-Zutaten sich nun in seinem guten Gewissen sonnen zu dürfen oder seinem Ernährungslifestyle treu geblieben zu sein, der sitzt einem Fehlschluss auf.

Der Autor dieser Zeilen kommt aus einer wohlhabenden Gegend im Süden, wo Aspekte wie Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit und bewusste Lebensführung einen hohen Stellenwert genießen – nicht zuletzt, weil kaum jemanden existenzielle Sorgen plagen und man sich ein solches Wertesystem eben leisten kann. Um für eine Kugel Eis 1,60 € verlangen zu können, müsste man sich schon ganz gezielt die wohlhabenden, jungen möchtegern-Hipster-Eltern greifen – würde dann aber auch schnell zur angesagtesten Eisdiele der Stadt avancieren. Es gilt, eine Atmosphäre zu erschaffen und sich ein Image zuzulegen, das der angepeilten Kundschaft Übereinstimmung zu ihrem Habitus suggeriert.

Mehr als ein Eis

Genau diese Anforderungen erfüllt das Eiswerk mit der Aufmachung seiner Filialen und den fancy Eissorten, auch wenn die Unternehmensleiterin Lenninghaus von dem bio-Ruf selbst ein wenig überrascht ist. Leicht verunsichert fragt sie, ob das etwas Schlechtes sei. Nein, das nicht, aber verwunderlich ist es schon. Der mutige Schritt der Preisstaffelung („Das ist wie bei einer Bäckerei, wo auch nicht alle Brötchen gleich viel kosten.“) verschreckte jedenfalls nur wenige Kunden, das Geschäft läuft weiterhin blendend. Die Annahme, dass die Leute der außergewöhnlichen Qualität wegen die außergewöhnlichen Preise zu berappen bereit sind, ist dabei keineswegs eine gesicherte. Denn man möchte ja nicht nur ein Eis essen, sondern hofft darauf, wie im Stammcafé Bekannten über den Weg laufen, an einem Ort sein, an dem man sich wohl fühlt, aufgehoben und zugehörig (wenngleich einem das nicht unbedingt bewusst sein mag). Wer mehr als ein Eis möchte, der zahlt auch mehr als ein Eis. So steht das italienische Familienunternehmen Losego geschmacklich dem Eiswerk in Nichts nach – im Gegenteil, für viele Dortmunder ist der Laden auf der Rheinischen Straße der beste der Stadt. Das klassische, manchmal leicht kitschige Chic des traditionellen Italieners unterscheidet sich jedoch enorm von der modernen Verspieltheit der Eiswerk-Filialen und dementsprechend unterschiedlich ist die Kundschaft. Ob die Leute, die die Eisdiele neben dem Black Plastic bevorzugen, ähnlich unbekümmert eine derartige Preiserhöhung in Kauf nehmen würden, steht stark zu bezweifeln.

Wofür Menschen ihr Geld ausgeben sagt viel über sie bzw. ihre Prioritäten aus. Das Dortmunder Eis-Preisniveau und speziell Phänomene wie die 1,60 €-Kugel lassen sich auch so interpretieren, dass die Menschen in manchen Teilen dieser Stadt trendfreudig sind und ein stärkeres Bewusstsein im Umgang mit Nahrung entwickeln – sowohl mit Blick auf die Natur als auch auf ihren Körper. Es mag vielen missfallen, aber dieses Milieu der gut situierten bürgerlichen Alternativen ist ein ökonomisches Zugpferd, das es braucht, wenn man das Gesicht einer Stadt ändern möchte. Oder hat man das in weiten Teilen Deutschlands gepflegte Klischee des nostalgischen, CPM essenden, rußgeschwärzten Ruhrgebiets etwa noch immer nicht satt?

Bjoern Hering

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