Dortmund: explosives Erbe unter der Stadt

Bomben wie diese liegen zuhauf unter Dortmund / Foto: Dirk Vorderstraße / Flckr / License: CC BY-NC 2.0

Die aktuellen Bombenfunde am Westentor und im Klinkviertel sorgen für Verkehrschaos und gelegentlich gereizte Nerven. Und trotzdem: Während andere Städte in Deutschland an dieser Stelle in Unruhe verfallen würden, bleiben die Dortmunder bis zur großen Evakuierung im Januar entspannt. Blindgänger aus dem zweiten Weltkrieg gehören für uns zum Alltag.

Für uns Dortmunder ist es nichts neues: Fast wöchentlich werden bei Bauarbeiten Blindgänger bis zu acht Meter tief im Erdreich entdeckt und anschließend entschärft. Dies führt regelmäßig zu Verkehrschaos und teilweise aufwendigen Evakuierungen. Vor zwei Wochen erst wurde die B1 im Bereich der Märkischen Straße zur Feierabendzeit bis kurz nach 22 Uhr Vollgesperrt, da man im Westfalenpark eine Bombe im Boden gefunden hat. Kaum ein Dortmunder, der noch nicht vor gesperrten Hauptstraßen in einem roten Meer aus Rücklichtern stand und beinahe ins Lenkrad gebissen hätte. Kaum ein Dortmunder, der noch nicht mindestens einmal in seinem Leben evakuiert wurde. Kaum ein Dortmunder, der nicht die zwei Zündsysteme der Bomben benennen kann, die hier im Boden schlummern: Aufschlagzünder oder ein Aceton-Säurezünder.

Erstere sind die weniger problematischen. Aufschlagzünder haben schon beim Abwurf vor mehr als 70 Jahren nicht ausgelöst. Ein verdammt kräftiger Schlag wäre also nötig, um sie zur Detonation zu bringen. Dramatischer sind da schon die Säurezünder: Beim Aufschlag sollte eine Säureampulle zerbersten. Diese Säure sollte anschließend eine Zelluloid-Mechanik des vorgespannten Schlagbolzens zersetzen. Erst dann löst die Bombe aus. Dieser chemische Zersetzung sollte von vier Stunden bis zu einer Woche dauern. Ziel war es, die Bomben erst Stunden bis Tage nach dem Einschlag explodieren zu lassen, um so für maximalen Schock und Zerstörung innerhalb der Bevölkerung zu sorgen. Viele der unter Dortmund liegenden Blindgänger haben einen Säurezünder und niemand weiß, in welchem Zustand sich das Zelluloid heutzutage befindet. Wir sitzen quasi auf einem gewaltigen Haufen tickender Zeitbomben.

Niemand weiß genau wieviele es sind

Wie gewaltig dieser Haufen ist, kann man nur schätzen. Eindrucksvoll sind die Zahlen auf jeden Fall: Allein am 12. März 1945 warfen mehr als 1100 Bomber ihre tödliche Fracht auf Dortmund ab, es war der schwerste Angriff auf eine deutsche Stadt im gesamten Kriegsgeschehen. Ab 1943 wurden acht ähnlich verheerende Großangriffe gezählt, in den gesamten Kriegsjahren wurden 105 Bomberangriffe auf Dortmund geflogen. Mit seinen wichtigen Verkehrsadern und Rüstungsindustrien war das Ruhrgebiet im zweiten Weltkrieg ein präferiertes Ziel für die alliierten Streitmächte. Das Erbe dieses Flächenbombardements taucht fast wöchentlich bei Bauarbeiten in Dortmunds Erdreich auf: Aktuell hat sich bei Sondierungsarbeiten eine Bombe am Westentor / Ecke Rheinische Straße bestätigt. Eine weitere Bombe im Bereich des Klinkviertels muss noch bestätigt werden. In beiden Fällen ist eine Evakuierung für den 11. und 12. Januar geplant. Befürchtungen zufolge werden 12.000 Bewohner sowie Teile des Klinikums sowie der Kinderklinik von der Evakuierung betroffen sein. Bis zur Entschärfung wird es nur eingeschränkten Verkehr im Wallbereich geben, damit die Erschütterungen nicht zu einer ungewollten Explosion führen. Im Fundbereich liegt auch eine U-Bahn Linie, ebenso Teile des mysteriösen Tiefbunkers.

Wie entdeckt man die Bomben?

Ausschlaggebend für die Entdeckung der Blindgänger sind fast immer Baustellen. Jeder, der einen Bauantrag stellt, ob Privatperson oder Baufirma, ist verpflichtet eine Bombensondierung vornehmen lassen. Dabei wird bei der Bezirksregierung Arnsberg gepachtetes Fotomaterial der Alliierten ausgewertet, die unser Stadtgebiet vor, während und nach der Bombardierung zeigen. Experten suchen gezielt nach Kratern und Einschlaglöchern, sowie nach Spuren von detonierten und eben nicht detonierten Bomben. Gibt es Hinweise auf Blindgänger, werden auf der Baustelle Magnetfeldmessungen vorgenommen. Oft sind diese mit zahlreichen und aufwendigen Probebohrungen verbunden. Wird die angerostete Bombe gefunden, analysiert man das Zündsystem und dann wird schnell gehandelt: Sperrungen und Evakuierungen folgen. Die größte Angst, die die Dortmunder begleitet, ist übrigens nicht die Angst vor einer Detonation. Vielmehr die Einbrecher machen Sorgen. Wird ein halber Stadtteil evakuiert, wie es 2013 in Dortmund Hombruch geschah (20.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen), ist dies eine willkommene Einladung für Raubzüge. Sechs Häuser und eine Gaststätte wurden hier damals trotz eines massiven Polizeiaufgebots ausgeraubt. 

Vor einiger Zeit saß ich 50 Meter von einer Evakuierungszone nahe der Innenstadt entfernt am frühen Abend in meinem Zimmer und tipperte so auf Facebook rum, als ein tiefer, monströser Knall die Scheiben meiner Wohnung erzittern ließ. 500 Meter weiter wurde soeben der Zünder eines 250 Kilo Blindgängers mit Hilfe einer „Raketenklemme“ aus der Bombe herausgesprengt. „Raketenklemme“, auch das ist den meisten Dortmundern mittlerweile ein Begriff. Die Explosion ließ mich ganz schön zusammenzucken und ich rief auf Twitter schnell den Hashtag #dobombe auf. Ich laß, dass der Knall zu einer kontrollierten Sprengung des Zünders gehörte und widmete mich wieder meiner Timeline. Dortmund halt, wie immer.

Bjoern Hering

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