Verkannte Kiosk-Kultur: Wenn die FAZ aufs Ruhrgebiet schaut…

Ein Kiosk kann so schön sein. / Foto: Jessica Pahl

Ein Kiosk kann so schön sein, dieser hier steht leider nicht im Ruhrgebiet. / Foto: Jessica Pahl

Das Ruhrgebiet hat noch immer mit einer eher negativen Außenwahrnehmung zu kämpfen. Immer wenn man denkt, es wäre langsam mal vorbei, kommt wieder jemand um die Ecke, der einen eines besseren belehrt. Diesmal war es Andreas Rossmann von der FAZ, der anlässlich des 1. Tags der Trinkhallen seine Wissenslücken über das Ruhrgebiet und seine Kiosk-Kultur offenbart. 

Als Außenstehender oder Zugezogener (in meiner Heimat sagt man „Neigschmeggder“) das Ruhrgebiet zu verstehen ist nicht leicht, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Als ich vor 6 Jahren aus dem Süden kam, war die Region zwischen Duisburg / Dortmund und Hagen / Haltern für mich ein zusammenhängendes stadtartiges Gebilde. Ich war zwar davor schon öfter für ein, zwei Tage in Bochum, Gelsenkirchen, Essen oder Dortmund gewesen, hatte dieses Gebiet, in dem eine große Stadt direkt an die nächste grenzt, nie verstanden. Und das liegt nichtmal so sehr daran, dass ich vom Land komme – auch wenn du aus Berlin, Hamburg oder München kommst, kennst du sowas nicht. Weil es das eben nur hier gibt, und dann ist sowas wie das Ruhrgebiet echt schwer zu greifen. Dazu kommt, dass das Ruhrgebiet damals Kulturhauptstadt Europas (ihr erinnert euch, Ruhr2010) war, wofür das politische Konstrukt des Ruhrgebiets als Metropole geschaffen wurde.

Die Metropole Ruhrgebiet ist nur eine politische Idee und hat mit der Realität wenig zu tun

Und genau da fängt das Missverständnis an, denn das Ruhrgebiet ist alles andere als eine große Stadt. Dass dieser „Marketinggag“ sich erstaunlich hartnäckig in den Köpfen der Menschen außerhalb des Ruhrgebiets eingenistet hat, fiel mir auf, als ich gestern einen Text in der FAZ las. Er trägt den Titel „Die größte Stadt“ und hadert mit der scheinbaren Rückständigkeit der Menschen hier. Zugegeben: Es ist eine Glosse, aber diese Artikelform ermöglicht es dem Autor eben, seine Meinung in Form von in Humor verpackter Kritik zu äußern.

Der Autor nimmt einen zuletzt verzeichneten Einwohnerzuwachs zum Anlass sein Unverständnis darüber zu äußern, dass die Städte noch immer ihr eigenes Süppchen kochen, anstatt sich endlich zusammenzuschließen. Schuld daran seien die „Oberhäupter“, die „gar nicht daran denken, auf Amt und Würden zu verzichten und über den eigenen Kirchturm hinauszuschauen.“ Wie gesagt, ich komme ursprünglich nicht von hier, aber die von hier kommenden und hier lebenden Leute habe ich ganz anders kennengelernt. Essen ist nicht gleich Bochum ist nicht gleich Dortmund – und wehe, man behauptet, Wattenscheid sei Bochum. Und auch die Stadtteile haben ihre Bedeutung, spielen sozusagen  eine Rolle in der urbanen Identität. Wieso schließen sich denn Frankfurt und Offenbach oder Mainz und Wiesbaden nicht zusammen? Oder am besten gleich alle vier? Weil sie ihre eigene Geschichte haben, und weil die Tatsache, dass sie aneinander grenzen, sie noch lange nicht gleich macht. Es gibt Städte im Ruhrgebiet, in denen ich auf gar keinen Fall wohnen möchte, die mit Dortmund so viel zu tun haben, wie ein gutes Sandwich mit Subway.

Dabei hat der FAZ-Korrespondent Andreas Rossmann nicht zum ersten Mal mit dem Ruhrgebiet zu tun, allerdings deutet sein Reportagenband „Der Rauch verbindet die Städte nicht mehr. Ruhrgebiet: Orte, Bauten, Szenen“ darauf hin, dass seine Meinung schon 2012 feststand. Anscheinend hat er nie verstanden, dass die Städte des Ruhrgebiets zwar zusammenhängen und auch die Leute hier die Region als zusammenhängendes Gebiet empfinden, aber das Zugehörigkeitsgefühl hier einen viel stärkeren Bezug zur (Wahl-)Heimatstadt hat, als einem im Rest von Deutschland erzählt wird.

Der 1. Tag der Trinkhallen – „putzig“?

Neben dem Adlerkiosk der hipste Kiosk in town: Der Bergmannkiosk am Wall. / Foto: Bergmann Brauerei

Neben dem Adlerkiosk der hipste „Kiosk“ in town: Der Bergmannkiosk am Wall. / Foto: Bergmann Brauerei

Den Höhepunkt hat sich Rossmann aber für den Schlusssatz aufgehoben. Nachdem er auch ein paar lobende Worte für das Ruhrgebiet findet, kommt doch tatsächlich diese Aussage: „Denn wenn es darum geht, sich darzustellen, macht sich die größte deutsche Stadt gerne klein und feiert, so an diesem Samstag, wie putzig, den „ersten Tag der Trinkhallen“. Als hätte sie sonst nichts zu bieten.“ … Putzig also. Und in Hamburg ist das cool, oder wie? (Siehe hier)

Wer nicht weiß, dass Trinkhallen hier nicht irgendwelche Tante Emma Läden sind, sondern ein wichtiger Bestandteil in der Versorgungsinfrastruktur (Bier und gemischte Tüte!) der Bewohner, der hat nicht ansatzweise verstanden, wie das Leben in einer Ruhrgebietsstadt funktioniert. Von ihrer neuerlichen Funktion als Paketabholstationen mal ganz zu schweigen. Und wer nicht weiß, dass Trinkhallen auch für Lebensqualität und eine bestimmte, durchaus reflektierte und unprätentiöse Haltung zum urbanen Leben stehen, der hat keine Ahnung von Ruhrgebietskultur und von den Leuten, die hier leben. Heute wäre ein guter Tag dafür, mit diesen Missverständnissen aufzuräumen, denn der 1. Tag der Trinkhallen honoriert etwas, wofür man uns in weiten Teilen Deutschlands beneidet. Also lasst euch nicht runterziehen und feiert ihn!

Foto: Facebook

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Bjoern Hering

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