Corona und die Clubszene – Ein Interview mit dem Betreiber der Großmarktschänke

Seit dem 14. März steht die Tanzfläche in der Großmarktschänke still / Foto: Facebook

Sinischa Wichmann betreibt die Großmarktschänke, Dortmunds buntesten Club mit Partyformaten, die seit 20 Jahren für ungehemmte Lebensfreude und Lebendigkeit stehen. Wöchentlich begeisterten hier jeden Samstag im Wechsel Hip Hop, Rap & Soul, Rock, Reggae & Dancehall, 80s und Disco-Tunes ein freundliches und feierwütiges Publikum. Seit dem 14. März ist die rote Eingangstür wegen der Corona-Krise verschlossen. Wann und ob sie überhaupt wieder öffnet, weiß bis jetzt niemand. Wir haben uns mit Sinischa Wichmann unterhalten und nachdenkliche, als auch auch bewegende Antworten erhalten.

Hallo Sinischa, Danke für das Gespräch mit uns. Hand aufs Herz: Seit 20 Jahren bist du nun als Veranstalter tätig, hast du jemals im Leben mit so etwas wie der Corona-Krise gerechnet? Wie hast du die ersten Meldungen und Tage erlebt und was ging dir durch den Kopf?

S.W.: Hallo ihr beiden, sehr gerne! Nein, auf keinen Fall habe ich ernsthaft mit sowas gerechnet. Ich gehöre nicht zu den Verschwörungstheoretikern, die sich jetzt bestätigt fühlen. Naja, wahrscheinlich wie viele andere auch, habe ich gedacht, dass es sich um eine lokale Erscheinung handelt, so wie es es in der Vergangenheit schon des Öfteren vorgekommen ist, wie zum Beispiel bei Ebola. Aber als es dann offenkundig seine Ausbreitung fand, war ich natürlich auch darüber besorgt was da passiert. Das Verrückte dabei ist ja, solange es nicht direkt vor der eigenen Haustür passiert, scheint es gefühlt auf einem anderen Planeten stattzufinden. Aber auch das wird uns eine Lehre sein.  

Mittlerweile ist die Großmarktschänke seit knapp 8 Wochen geschlossen. Gibt es nach wie vor Solidaritätsbekundungen in Form von Spenden und Unterstützung von Privatpersonen?

S.W.: Anfangs war es wirklich eine wahnsinnige Welle, die uns auch emotional sehr berührt hat. Als die ersten Spenden ankamen, hatten wir Pipi in den Augen, auch wenn diese „nur“ kleinere Beträge waren. Das war alles ganz schön surreal, Mann oh Mann. Zum einem das Gefühl, so nach 20 Jahren von heute auf morgen ohne eigenes Verschulden vor dem Nichts zu stehen, aber auf der anderen Seite spenden Menschen, die man persönlich gar nicht kennst ihr Geld mit aufmunternden und ganz lieben aufbauenden Worten. Das war und ist eine unglaublich schöne Erfahrung fürs Leben. Einfach nur toll! Die erste „Spendenwelle“ hat uns auf jeden Fall dabei geholfen Löhne und Rechnungen, sowie DJs und Künstler zu bezahlen. Mittlerweile hat es sich beruhigt, was aber auch damit zusammenhängt, dass wir jetzt nicht jede Woche mit Spendenaufrufen an die Öffentlichkeit gehen. Es ist nicht das Schönste mit sowas an die Öffentlichkeit heranzutreten, auch wenn man für die Situation nicht verantwortlich ist.

Was kannst du aus deiner Sicht zur NRW Soforthilfe sagen? Funktioniert diese und fühlt ihr euch unterstützt?

S.W.: Die Soforthilfe war ein gutes und notwendiges Zeichen der Regierung und wir sind auch sehr dankbar dafür. Wir haben sie fünf Minuten, nachdem sie online ging, beantragt. Einen Bescheid erhielten wir bereits am nächsten Tag, trotzdem vergingen dann dann vier Wochen bis die Unterstützung endlich ankam. Es waren vier sehr lange Wochen, die uns die Nerven bis zum Zerreißen angespannt haben. Keiner konnte uns sagen, wieso das Geld noch nicht überwiesen wurde. Alle erzählten, dass die Soforthilfe binnen drei bis vier Tage erhalten wurde, nur bei uns war das leider nicht der Fall. Wochenlang konnte man niemanden diesbezüglich erreichen, um Infos zu erhalten. Das Problem an der ganzen Sache war, dass wir eine GbR sind und es bei den Hilfen für GbRs bei der Auszahlung zu massiven Störungen kam. Naja, sie kam schließlich nach vier Wochen an und hilft uns auf jeden Fall die nächsten Wochen zu überstehen. Und: Ja, wir fühlen uns unterstützt, auch wenn es hinten und vorne nicht reichen wird mehrere Monate damit über die Runden zu kommen.

Wie werden die kommenden Wochen für euch aussehen? Wie lange könnt ihr diese Situation noch überbrücken?

S.W.: Wir müssen zweigleisig fahren. Zum einen werden wir die Schänke wieder beseelen und sauber machen, mit Farben aufhübschen, das eine oder andere reparieren ohne dafür Geld in die Hand nehmen zu müssen, zum Anderen machen wir uns natürlich Gedanken und suchen nach Lösungen, wie es weiter gehen kann. Letztendlich müssen wir uns etwas einfallen lassen, damit wieder Geld vorne reinkommt in dieser unabsehbaren Situation. Es ist ja nicht nur die Schänke die wir retten wollen, sondern auch privat stellt sich parallel die Herausforderung, eine vierköpfige Familie mit zwei kleinen Kindern durchzubringen. Deswegen können wir keinen Masterplan für die nächsten Wochen schmieden, denn es gilt momentan von Tag zu Tag neu zu reflektieren was Sinn macht und was nicht. Aber wir werden fleißig sein – das ist gewiss!
Und wie lange wir die Situation überbrücken können ist schwer abzusehen. Das hängt nämlich von mehreren Faktoren ab. Erhalten wir weitere Unterstützung? Gelingt es uns kurzfristig Gelder zu generieren? Aktueller Stand: Mitte bis Ende Juni.     

Welche Unterstützung wünscht ihr euch von der Politik? Fühlt ihr euch alleingelassen oder habt ihr ein Gefühl von Sicherheit?

S.W.: Die Politik macht was sie kann und sie macht es meiner Meinung nach bis jetzt recht ordentlich. Die Politiker sind auch nur Menschen, die mit solch einer Situation noch nie konfrontiert wurden und müssen Tag für Tag aus einer Unsicherheit heraus Entscheidungen treffen. Dass es uns so knallhart trifft, ist zwar echt mies, aber man kann deswegen niemandem einen Vorwurf machen. Das Wichtigste ist doch, dass die Krankenhäuser und deren Mitarbeiter nicht total unter die Räder kommen und das den betroffenen Erkrankten geholfen werden kann. Ich denke niemand möchte Szenarien, wie wir sie zum Beispiel aus Italien kennen, erleben. Deshalb fühlen wir uns von der Politik (noch) nicht alleine gelassen und sind eher solidarisch mit den Entscheidungen und müssen die Konzequenzen mittragen, egal wie schwer es fällt. Es geht ja schließlich um Menschen und deren Gesundheit!

Könntest du dir alternative Öffnungskonzepte für die Großmarktschänke vorstellen, die mit den aktuellen Begebenheiten vereinbar wären?

S.W.: Hm… Vorstellen ja, aber es sind noch keine Alternativen dabei, die wir ernsthaft verfolgen. Es gibt leider keinen befriedigenden Ersatz für das was uns wichtig ist und wofür die Großmarktschänke steht: Entspanntes Miteinander in freundlicher Atmosphäre und zu guter Musik feiern. Unsere DJs sind zwar fleißig am Streamen und Playlisten posten, aber mehr geht im Augenblick leider nicht.   

Seit jeher steht das Partykonzept der Großmarktschänke, früher Cosmotopia, für dicht gedrängte Lebendigkeit und Lebensfreude. Wie sieht es in dir aus wenn du daran denkst, dass der Club seit Wochen im Dunkeln schlummert, die DJs statt im Club nun über Twitch auflegen oder Spotify Playlisten posten und das Personal nicht weiß, wie es überhaupt weitergeht?

S.W.: In mir rast seit Anfang März eine emotionale Achterbahn. Es gibt Momente da wünschte ich mir, dass mich jemand zwickt und ich aus diesem Albtraum aufwache, weil einfach so viele Dinge für viele Menschen davon abhängen. Aber ich bin prinzipiell auch jemand, der immer versucht sich auf die positiven Dinge zu konzentrieren. Ich war noch nie jemand, der die Hände über den Kopf zusammenschlägt, schreit und sich tatenlos seinem Schicksal ergibt. Es bringt nichts und frisst einen nur auf. Außerdem habe ich eine wunderbare Frau, drei tolle Kinder und ein fantastisches Team, das stärkt und viel Kraft und Zuversicht gibt. Von daher: „Try to stay positive“ heißt die Devise, mach das Beste aus der Situation und gib Gas! Somit erarbeitet man sich auch wieder hellere Momente und ein besseres Gefühl. When the going gets tough, the tough gets going! 😉

Danke für das Gespräch und deine offenen Worte. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Beste und hoffen, dass wir uns alle ganz bald wiedersehen können.

S.W.: Gerne, danke euch. Und auch euch alles Gute!  

Ihr möchtet auch noch nach der Corona-Krise durch die Clubs tanzen? Dann unterstützt die Kultur- und Clubszene!

Spenden für die Großmarktschänke: paypal.me/GMschaenke 
oder 
Wichmann – Tanklage
IBAN: DE10440501990092249468
BIC: DORTDE33XXX
Verwendungszweck: Support

Party in der Großmarktschänke / Foto: LJOE
Foto: LJOE
Katharina Hering

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